Leseprobe Allicanto Das Herz des Goldvogels | M.S. Kelts
Exklusive Leseprobe
›Allicanto | Das Herz des Goldvogels‹
M.S. Kelts
Ich erwache wie gerädert. Die Couch ist eindeutig zu schmal für mich. In der Nacht bin ich mehrfach aufgewacht, weil ich beinahe heruntergefallen wäre. Und nun plagt mich mein Rücken. Ich bin echt zu alt für solche Experimente.
Stöhnend strecke ich mich und blinzele in die Sonne, die ungehindert durch ein Fenster hereinscheint. Sieht so aus, als hätten sich die Gewitter, die heute Nacht noch ordentlich getobt haben, verzogen. Ich gähne herzhaft und streiche mein dunkles Haar nach hinten.
Vor dem Haus steht eine Bank, ein uriges Ding aus einem halben Baumstamm, auf der ich bei so gutem Wetter liebend gern frühstücke, die Ruhe genieße und die Tageszeitung lese.
Frühstück ist ein gutes Stichwort. Da war doch was! Der Grund, warum ich auf der unbequemen Couch und nicht in meinem gemütlichen Bett geschlafen habe. Ich lege den Kopf schief und lausche auf ungewohnte Geräusche innerhalb des Hauses, aber da ist nichts. Kein Laut deutet auf meinen Besucher hin.
Mit wenigen Schritten bin ich an der Eingangstür, schließe sie auf und trete vor das Haus. Strahlend blauer Himmel, so weit das Auge reicht. Es wird heute sehr heiß, bereits jetzt zeigt das Thermometer neben der Tür zweiundzwanzig Grad an.
Was mir Sorgen bereitet, sind die Dunstschleier über den Allgäuer Alpen, auf die ich von meinem erhöhten Standpunkt freie Sicht habe. Und es ist recht schwül, was ebenfalls darauf hindeutet, dass es heute wieder ordentlich gewittern könnte. Gut, dass der Mann nicht mehr im Wald liegt.
Barfuß gehe ich nach oben, öffne behutsam die Schlafzimmertür und betrete leise das abgedunkelte Zimmer.
Unwillkürlich atme ich tief ein. Sein anregender Duft liegt schwer im Raum, raubt mir den Atem und lässt mich umgehend hart werden. In Flaschen abgefüllt wäre er sicher der Verkaufsschlager in jeder Parfümerie.
Schließlich stehe ich am Bett, betrachte meinen Gast und wünsche ihm ein geflüstertes Guten Morgen. Er scheint noch immer tief und fest zu schlafen, wirkt aber dennoch wacher. Ein Widerspruch in sich, aber gestern glich sein Zustand eher einem Koma, heute wirklich nur tiefem Schlaf.
Und er hat sich bewegt, definitiv. Er liegt fast komplett auf dem Bauch, die Decke hat er vor sich zusammengeknüllt und das linke Bein darüber gelegt.
Das Bild ist so sexy, dass ich am liebsten meine Kamera holen würde. Dieser Kerl ist aber auch eine Augenweide. Gut, bis auf die blutunterlaufenen Male auf seinem Rücken. Aber sonst? Das diffuse Licht, das durch die sandfarbenen Vorhänge hereinfällt, zaubert einen Bronzeton auf seinen Leib, seine hellen Haare wirken wie geschmolzenes Gold. Wie er so daliegt, könnte man meinen, ein Künstler hätte ihn so arrangiert, um ihn zu malen.
Was es auch ist, es löst eine unglaubliche Begierde in mir aus und ich erwische mich dabei, wie ich die Finger nach ihm ausstrecke, um ihn zu berühren.
Ich zwinge mich, meine lüsternen Gedanken zu verdrängen und umrunde das Bett, um nachzusehen, ob er nicht doch wach ist. Nein, ist er definitiv nicht. Sein Gesicht ist vollkommen friedlich und ruhig, die Augen geschlossen und sein Atem geht tief und gleichmäßig. Dieser friedliche Ausdruck auf seiner Miene beruhigt mich etwas und drängt den Gedanken, dass ich heute einen Arzt holen sollte, in den Hintergrund.
Vernünftig wäre es allemal, aber mein Gefühl sagt mir, dass es besser ist, wenn ich ihm noch Zeit gebe.
Ich wende mich mühsam von ihm ab und zum Balkon. Dort ziehe ich die Vorhänge auf, öffne die Tür und schrecke mit einem Keuchen zurück. Unwillkürlich presse ich eine Hand auf mein Herz, das wild in meiner Brust klopft. Himmelherrgott! Was ist das denn für ein Chaos?
In dem Moment, als ich die Tür öffne, flattern gefühlte tausend Vögel aller Arten auf und stieben wild kreischend davon. Und ich habe mich noch gewundert, warum es vor dem Haus so still war.
Jetzt weiß ich warum, kann es aber nicht fassen. Was passiert hier? Was hat der Kerl hinter mir nur an sich? Als ich mich hektisch nach ihm umdrehe, weil ich befürchte, er könnte von dem Lärm aufgewacht sein, scheint er leicht zu lächeln. Ein Anblick, der mich regelrecht dahinschmelzen lässt. Mir schießt das Wort süß in den Kopf, was ich in Zusammenhang mit einem Mann sonst tunlichst vermeide, weil es lächerlich klingt. Aber bei dem Fremden nicht.
Der erneute Blick auf meinen Balkon ernüchtert mich dagegen in Sekundenschnelle und holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Toll.
Mein Patient hatte zweifelsfrei ein exquisites Morgenkonzert und ich jetzt den Dreck. Die Vögel scheinen echt jeden Sitzplatz belagert zu haben, denn selbst auf dem kleinen Beistelltisch finden sich ihre Hinterlassenschaften.
Aber darum kümmere ich mich später. Ich brauche jetzt einen Kaffee und dann werde ich mal die blauen Flecken auf Goldlöckchens Rücken versorgen.
Aber selbst der starke, anregende Geruch eines frischen Espressos entlockt dem Mann zehn Minuten später keine Reaktion. Dann eben nicht. Ich sinke vorsichtig neben ihn auf die Matratze und verreibe die Salbe zwischen meinen Händen, damit sie nicht so kalt ist.
Die Aussicht, ihn wieder berühren zu dürfen, jagt meinen Puls in die Höhe. Wieder mustere ich ihn ungeniert, genieße seinen Anblick und grinse beim Betrachten der kleinen, verwegenen Tätowierung direkt über dem Ansatz seines perfekt geformten Hinterns erneut. Da er jetzt nahezu auf dem Bauch liegt, kann ich die hübsche Feder genau erkennen. Es sieht so aus, als schwebe das filigrane Gebilde ein kleines Stückchen über der Haut und werfe einen kaum sichtbaren Schatten. Ich habe selten so etwas Erotisches wie das gesehen.
Während ich in sanften, kreisenden Bewegungen die Salbe einmassiere, wandert mein Blick immer wieder über den sanften Schwung seines Rückens, den Knick seiner Taille und zu seinem runden, prallen Hintern.
Ehe ich recht weiß, was ich tue, gleiten meine Hände hinab, streichen über seine seidig zarte Haut und entlocken ihm eine Gänsehaut. Es ist schön, seine Wärme zu spüren, die Glätte und Beschaffenheit seines Körpers lässt meine Finger kribbeln und meinen Unterleib zucken. Wie gerne würde ich jetzt meine Lippen auf das tätowierte Stückchen Haut pressen, genau da, wo jetzt meine Fingerspitzen den Umriss nachzeichnen…
Scheiße! Was tue ich hier eigentlich?
Mit einem Knurren zwinge ich mich, von ihm abzulassen und haste aus dem Zimmer.
Meine Wasserrechnung dürfte die nächste Zeit ordentlich ansteigen, wenn ich nach jedem Besuch bei ihm eine kalte Dusche brauche.
[Allicanto | Das Herz des Goldvogels |
Neuauflage | Datum der VÖ: 12. März 2020]
© Text und Cover: M.S. Kelts | Cursed Verlag;
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
Unbezahlte Werbung.
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Phil Desforges auf Unsplash & Birgit Böllinger auf Pixabay
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