Aus Drei wird Liebe | Sabine Reifenstahl
Leseprobe
›Aus Drei wird Liebe‹
Sabine Reifenstahl
Die Ehe von Alexander und Markus kriselt. Gegensätze, die einst den Reiz ausmachten, sorgen für Spannungen, und ein grausamer Verdacht beschleicht Alex: Gibt es einen anderen?
Als er die Wahrheit herausfindet, eskaliert die Situation. Hals über Kopf flieht Alex – direkt in die Arme des berüchtigten Rächers von Berlin. Durch ihn lernt er echte seelische Abgründe kennen, doch in der Gefangenschaft begegnet ihm auch etwas Unerwartetes, das sein Leben für immer verändern könnte …
Die Erinnerung an das Eishotel in Jukkasjärvi brachte mich zum Lächeln, gleich darauf seufzte ich. Solche Momente wünschte ich mir zurück, deshalb war ich hier.
Nach einem vergeblichen Ruckeln an der Schreibtischschublade probierte ich, das Schloss mit einer aufgebogenen Büroklammer zu knacken. Im Krimi sah das einfach aus, ich scheiterte kläglich und setzte den mitgebrachten Schraubendreher ein. Die Verriegelung gab knirschend nach. Noch einmal zögerte ich, schämte mich für das gewaltsame Eindringen in Markus’ Privatsphäre, den Vertrauensbruch, fürchtete mich davor, was ich finden würde.
Für einen Rückzug war es zu spät, daher öffnete ich die Schublade und betrachtete irritiert den speckigen Papphefter, las die Aufschrift und sank entmutigt auf den Schreibtischstuhl. Beim Durchblättern wurde mein Herz immer schwerer. Der Grund für die Heimlichtuerei traf mich wie ein Schlag in den Magen, gegen diesen Gegner konnte ich kaum etwas ausrichten, begriff die Geheimniskrämerei und das Aufheben darum nicht. Gedankenverloren musterte ich die Aufnahmen, Notizen, Berichte, überflog einen Autopsiebericht.
»Was treibst du da, Alexander?« Markus’ Stimme klang mindestens eine Oktave tiefer als sonst und ausgesprochen drohend.
Das Fundstück hatte mich alles ringsum vergessen lassen, sodass ich weder das Motorengeräusch seines ankommenden Wagens noch die nahenden Schritte bemerkte.
»Alexander!«
Wie ein Peitschenschlag zerschnitt das Wort die Luft. Gewöhnlich nannte er mich Lexi, seltener Alex, die Langform meines Namens gebrauchte er nie.
Automatisch zeigte ich auf die als Alibi mitgebrachte Rolle Klebeband und erwiderte: »Brauchte was aus deinem Arbeitszimmer.« Unbewusst wanderte mein Blick zur akribisch geführten Akte mit Zeitungsberichten und anderen Unterlagen über den Rächer von Berlin, einem gesuchten Mörder. »Was läuft hier? Ich will mir nur Packband holen und finde das!« Anklagend wies ich auf die Papiere.
»Das geht dich nichts an!«
»Aber ich bin dein Mann!«
Eisblaue Augen versandten frostige Speere. Markus glich in seiner Erscheinung ohnehin einem Wikinger. So wütend, wie er sich vor mir aufbaute, ähnelte er einem kampfbereiten Krieger.
»Raus!«, befahl er und atmete auffallend tief ein. Das tat er, um seine Gefühle zu kontrollieren, eine Technik, die er mir ebenfalls beigebracht hatte. Sie half uns beiden nicht, die Ader an seinem Hals pochte heftig, das Gesicht leuchtete dunkelrot, der Arm deutete fordernd zur Tür.
Aufgebracht schoss ich an ihm vorbei, fuhr in der Diele herum und schrie: »Was soll der Mist? Seit wann verfolgst du den Kerl? Das geht dich nichts an! Hast du nichts Besseres zu tun?«
Die erwartete Reaktion blieb aus, wortlos fixierte er mich, ballte die Fäuste und öffnete sie wieder.
In diesem Augenblick explodierte der schwelende Zündstoff in mir. »Wie wäre es, wenn du dich um mich kümmerst, statt den ganzen Tag hier herumzulungern?«
Schon beim Aussprechen wusste ich, wie albern sich der Vorwurf anhörte, als verlange ein Kleinkind nach Aufmerksamkeit. Genau die ersehnte ich, vermisste meinen Partner, seine liebevolle Zuneigung. Zusammenhanglos dachte ich an unser letztes Mal, das eher einer Pflichtübung glich. Die Art, wie Markus sich verführen ließ, erweckte den Eindruck, er täte es mir zum Gefallen. Unser unbefriedigendes Liebesleben machte mich umso mürrischer. Seit Wochen trieb mich die Ungewissheit um, die quälende Furcht, betrogen zu werden. Der Papphefter brachte mich aus dem Konzept, erklärte das Zerwürfnis zwischen uns nur unzureichend.
»Was soll das?«, brüllte ich und erntete anstelle einer Antwort nur missbilligendes Kopfschütteln.
Ungewollt betrachtete ich eine weihnachtliche Porzellanfigur auf der Kommode.
»Für meinen Engel«, hatte Markus grinsend gesagt und mir den Tand geschenkt.
Damals fühlte ich mich geschmeichelt, obgleich der dicke Flügeljunge, abgesehen von den blonden Locken, kaum Ähnlichkeit mit mir aufwies. Jetzt stach der Weihnachtsengel mir wie ein Dorn ins Auge, war er doch in dem Wissen angeschafft worden, dass ich solchen Kitsch verabscheute. Ein weiterer Ausdruck von Gefühllosigkeit.
In Rage ergriff ich das Ding und zischte: »Und übrigens, ich bin kein Engel!« Ziellos schleuderte ich es fort. Mit dem Wurf entlud sich die aufgestaute Energie, die Knie wurden mir weich und ich stützte mich Halt suchend an der Wand ab.
Glücklicherweise duckte sich Markus unter dem Geschoss hinweg. Sein Gesicht spiegelte mein Entsetzen.
Diesmal war ich zu weit gegangen, hatte mehrere Tabus gebrochen. Ein kalter Blick vereiste mein Inneres, brachte das Herz aus dem Takt.
Wortlos stürmte er an mir vorbei, gleich darauf klappte die Haustür zu.
»Scheiße!«, fluchte ich und betrachtete entgeistert die Scherben. Nicht zum ersten Mal ging etwas zu Bruch, aber noch nie lief ich Gefahr, ihn zu verletzen. Zitternd sammelte ich die Bruchstücke ein und spürte, wie mir Tränen über die Wangen rannen. Die Überbleibsel ließen sich nicht mehr kitten, und ich fürchtete, damit glichen sie unserer zerbrochenen Liebe. Was, wenn Markus mich verließ?
[Aus Drei wird eins | Datum der VÖ: 03. Dezember 2021]
© Text: Sabine Reifenstahl
© Cover: Marta Jakubowska | Main Verlag
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
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