Die Weise der Feen: Jenseits von Fengard | Janine Hofeditz
Leseprobe
›Die Weise der Feen: Jenseits von Fengard‹
Janine Hofeditz
Einst war Cadogan der Prinz der Feen und herrschte über sein Volk mit eiserner Faust. Feen und Menschen zitterten gleichermaßen vor seiner Macht.
Doch seit einem gescheiterten Angriff auf die Menschen ist der einstige Feenprinz nichts weiter als ein Gefangener in seinem Leib, vernarbt und gezeichnet, ein Ausgestoßener, ohne Magie und ohne Zukunft.
Während Cadogan versucht, sich mit seinem neuen Leben abzufinden, begegnet er Sefarhis, dem Wächter der Nacht, der so alt ist wie die Welt. Sefarhis lässt sich von Cadogans schroffen Art nicht abschrecken und macht es sich in Cadogans Leben bequem. Doch Cadogans eigenes Volk trachtet ihm nach dem Leben und macht ihn für die Verderbnis, die das Feenland heimsucht, verantwortlich. Reicht Sefarhis’ Magie, um Cadogan vor seinem eigenen Volk zu beschützen? Oder steckt doch mehr dahinter, als sie anfangs dachten?
Ein epischer Fantasy-Roman über Liebe, Vergebung und die Suche nach sich selbst.
Schließt chronologisch an die Fengard Chroniken an, ist aber ein eigenständiger Roman.
Berwyn ließ sich tiefer in den Grenzzauber sinken und streckte seine Sinne aus, doch er konnte keine Gefahr erkennen. Bisher hatten sich die Schatten noch nicht über die Grenze gewagt und Berwyn hoffte inständig, dass das auch so bleiben würde. Wenn alles gut lief, würde das Land in dieser Nacht von den Schatten befreit. Er konnte den Gedanken kaum fassen. Denn wenn das Land jenseits der Grenze erst einmal befreit wäre, bestünde vielleicht die Möglichkeit, die Länder wieder zu vereinen.
Der feurige Ring, der die Burg von Fengard jenseits der Grenze schützte, war in der Nacht weithin zu sehen, obwohl die Burg einen halben Tagesmarsch entfernt lag. Berwyn hoffte, dass die Feen, die die Ränge in Fengard verstärkt hatten, heil wieder zurückkehren würden.
Ein Schatten löste sich von der Burg, schraubte sich in den Himmel und schoss dann in ihre Richtung. Die Bogenschützen, die entlang der Grenze Stellung bezogen hatten, setzten augenblicklich an und auch die restlichen Krieger zogen ihre Waffen.
»Haltet!«, rief Berwyn und kam sich lächerlich vor, dass er derjenige war, der Befehle ausgab. Früher hatte es keine Herrscher in ihrem Volk gegeben. Jeder hatte eine Stimme gehabt. Aber das war lange her.
Zu Berwyns Erleichterung entpuppte sich der Schatten als ein Greif, der in raschem Tempo näher kam. Erst, als er fast heran war, erkannte Berwyn, dass er etwas in den Klauen trug. Eine Fee. Eine Fee mit kurzem Haar. Berwyn wusste nicht, ob er erfreut sein sollte oder entsetzt. Natürlich war es Cadogan, einstiger Prinz der Feen und Dorn in Berwyns Seite, seit er mit seinem wahnsinnigen Vater beinahe die Feen in den Untergang gestürzt hatte.
Der Greif landete, kaum dass er die Grenze ins Feenland überquert hatte, und setzte auf den Hinterbeinen auf, während er seine zerbrechliche Fracht mit aller Behutsamkeit auf dem weichen Gras ablegte, das diesseits der Grenze wuchs. Berwyn war mit wenigen Schritten bei ihm. Cadogan war bewusstlos, sein Gesicht aschfahl und sein Lied … sein Lied war gebrochen und hatte Schaden genommen.
»Was ist geschehen?«, fragte er den Greifen, der unter seinem Blick zusammenzuckte. Berwyn musste sich beherrschen, um nicht einfach in den Geist des Greifen zu dringen, um die Antwort direkt herauszupflücken.
»Er hat sich ganz allein den Schatten entgegengestellt, um einen jungen Drachen zu retten«, erwiderte der Greif in krächzendem Tonfall.
Berwyn blickte ungläubig auf die Fee hinab, doch selbst im flackernden Licht der Fackeln war Cadogan mit seinem vernarbten Gesicht und den kurzgeschorenen Haaren eindeutig zu erkennen.
»Wird er überleben?«, fragte der Greif vorsichtig und riss Berwyn aus seiner Schockstarre.
»Wo ist er verletzt?«, fragte Berwyn.
»Die Schatten haben sein Bein erwischt. Und ich glaube, er hat ein wenig Drachenfeuer abbekommen. Ich weiß nicht, ob noch mehr verletzt ist.«
Berwyn folgte dem Blick des Greifen und prallte erschrocken zurück, als er Cadogans Bein sah.
»Ruft Alwyn!«, donnerte er. »Und die Windzwillinge! Sofort! Und mehr Fackeln! Annwen!« Er blickte sich zu ihr um, doch da war Annwen bereits an seiner Seite. Sie war so jung und naiv wie er alt und zynisch war und regierte mit ihm und Nirael gemeinsam über die Feen. Nun sah sie mit weit aufgerissenen Augen auf Cadogan hinab und suchte einen Moment später Berwyns Blick.
»Es wäre vielleicht gnädiger, ihn zu Mutter Erde zurückkehren zu lassen«, murmelte sie leise.
Berwyn presste die Lippen zusammen. Cadogans Anschuldigungen, dass Berwyn sich nur von seinem Hass leiten ließe, klangen ihm wieder in den Ohren. »Würdest du das auch sagen, wenn es Nirael wäre? Oder eine andere Fee?«
Annwen atmete scharf ein und wandte den Blick ab. Dann kniete sie ohne ein weiteres Wort neben Cadogan nieder und wandte sich seinem Bein zu. Berwyn hörte sie würgen, als sie Cadogans Bein von den Überresten seiner Beinkleider befreite, und auch Berwyn musste schlucken. Es sah auf den ersten Blick nicht danach aus, als wäre es noch zu retten, das Fleisch schwarz verkohlt und stellenweise bis auf den Knochen verbrannt.
Berwyn war froh, als er jemanden kommen hörte, und einen Grund hatte, um den Blick abzuwenden. Alwyn kam ihnen mit grimmiger Miene entgegen, seine Aufmerksamkeit bereits auf seinen Patienten gerichtet, als er abrupt stehen blieb.
»Er? Warum sollte ich ihm helfen?«
Berwyn wäre ihm am liebsten an die Kehle gegangen. »Weil ich dich darum bitte.«
Alwyn blinzelte, sah von Berwyn zu Cadogan und zurück. »Du hast in seine Seele gesehen?«
»Ist das wichtig?«, schnappte Berwyn, zu aufgewühlt, um seine übliche Ruhe zu bewahren. »Er ist einer von uns und er wird den Morgen nicht mehr erleben, wenn wir ihm nicht helfen.«
»Einer von uns?« Alwyn schnaubte abfällig.
»Er hat offenbar mehr Ehre besessen als du, als er sein Leben für einen Drachen geopfert hat«, zischte Berwyn. Alwyn scheute sich nicht davor, ihm direkt in die Augen zu sehen. Berwyn sah nur seinen eigenen Zorn und seine Schuldgefühle widergespiegelt. Es war so leicht, Cadogan für alles die Schuld zu geben, doch waren sie wirklich weniger schuldig?
Alwyn presste die Lippen zusammen und Berwyn atmete auf, als Alwyn sich schließlich neben Annwen niederkniete.
»Wie ist das passiert?«, fragte Alwyn.
»Er hat sich allein den Schatten entgegengestellt, um einen jungen Drachen zu retten«, erklärte der Greif, der ihre Auseinandersetzung still beobachtet hatte, mit derselben Ehrfurcht in der Stimme, die er schon zuvor ausgedrückt hatte. Wahrscheinlich wurde Cadogan mit jedem Mal, da er die Geschichte erzählte, ein Stück größer. Berwyn würde Nirael, die an der Seite der Menschen in Fengard ausharrte, nach der wahren Geschichte fragen müssen.
Alwyns Kopf fuhr bei den Worten des Greifen überrascht in die Höhe. »Er hat was? Bist du sicher, dass er es war?«
Der Greif nickte eifrig. »Ihr könnt ihn doch retten, oder? Er ist ein Held!«
Alwyns Lippen wurden schmal. »Das wird sich zeigen.« Er beugte sich über Cadogan, legte ihm eine Hand auf die Stirn und eine auf die Brust, direkt über sein Herz. Berwyn hörte, wie er einen Moment später scharf die Luft einsog. Seine Augen flogen auf und er sah Berwyn direkt an. »Bist du sicher, dass es nicht gnädiger ist, ihn gehen zu lassen?«, fragte er leise.
»Würdest du das auch sagen, wenn ich es wäre?«
Alwyn setzte sich auf die Fersen zurück und fuhr sich mit einer fahrigen Geste durchs Haar. »Vielleicht«, sagte er. »Das wird übel.«
»Tu, was du tun musst.«
Alwyn zog sich die Kleider vom Leib, bis er mit nackten Oberkörper im Gras kniete, und sah Annwen an. »Ich werde die Führung übernehmen, aber ich werde deine Unterstützung brauchen«, sagte er knapp. Annwen nickte hastig. »Wir werden unsere gesamte Kraft benötigen und selbst dann könnte es nicht reichen.« Sie nickte wieder.
»Berwyn –«
»Ich kümmere mich um sein Lebenslied«, fiel Berwyn ihm ins Wort.
Alwyn nickte nur und wies die Windzwillinge, die sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatten, an, Cadogan notfalls festzuhalten, wenn es nötig werden sollte. Er zog ein glattes Stück Holz aus der Tasche und schob es Cadogan zwischen die Zähne. Danach holte er ein Räucherbündel hervor, entzündete es mit seiner Magie und berührte damit Cadogans Stirn, seine Brust und strich über den Rest seines Körpers, bevor er es auf Cadogans Brust liegen ließ. Er tauschte einen letzten Blick mit Annwen und dann begannen sie.
Berwyn spürte, wie Fael und Tael, die Windzwillinge, den Wind befehligten und um Cadogan wanden, als der plötzlich die Augen aufriss und sich anspannte. Berwyn hätte ihm gerne die Schmerzen genommen, doch der Schaden an seinem Lebenslied, war so groß, dass Berwyn all seine Konzentration darauf verwenden musste, die Splitter wieder zusammenzufügen.
Er wusste nicht, wie lange sie arbeiteten. Berwyns Ohren klingelten von Cadogans qualvollen Schreien, von seinem zersplitterten Lied. Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht.
»Wir haben getan, was wir konnten«, sagte Alwyn schließlich. Die Erschöpfung hatte tiefe Linien in sein Gesicht gegraben. Annwen hatte sich bereits neben ihm rücklings ins Gras fallen lassen und atmete schwer. »Den Rest muss Mutter Erde tun.«
Berwyns Blick wanderte zu Cadogans Bein, das von den Zehen bis zur Hüfte mit großen Blättern umwickelt war. »Wird er wieder laufen können?«
Alwyn sah das Bein an. »Unwahrscheinlich«, knurrte er. »Er kann sich glücklich schätzen, wenn er jemals wieder aufwacht.«
[Die Weise der Feen: Jenseits von Fengard
Datum der VÖ: 28. September 2023]
© Text Janine Hofeditz;
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