21. November 2024

Engel unter Mordverdacht | C.N. Stance

Leseprobe

›Engel unter Mordverdacht | Ein Fall für Quin Angel
C.N. Stance

Klappentext:

Ihr könnt mich Quin nennen. Als Engel im Himmel habe ich versagt, also treibe ich mich in den verschiedenen Epochen der Erde herum, um mich mit Menschen sämtlicher Geschlechter zu vergnügen. Im Chicago der 1930er war es eigentlich ganz gemütlich, bis ich eines Tages neben der blutigen Leiche meines Geliebten aufgewacht bin. Jetzt wollen mir nicht nur die Cops an die Wäsche, sondern auch die hiesigen Gangster. Aber ich bin zu stur – und zu wütend! –, um mich einfach aus dem Staub zu machen. Ich muss herausfinden, wer den Mord begangen hat: Der Dinerbesitzer mit Spielschulden, der schöne Kellner, der Gangsterboss oder doch die eifersüchtige Ex-Freundin? Außerdem sollte ich schnellstens klären, ob ich dem fluchenden Dämon, der in einem Meerschweinchenkörper gefangen ist, tatsächlich vertrauen kann. Das wäre alles bedeutend einfacher, wenn ich endlich eine Zigarette in die Finger bekäme …

© C.N. Stance

Es brauchte nicht viel Überredungskunst, ins Kino eingelassen zu werden. Nachmittags an einem Werktag war hier kaum was los. Die Frau an der Kasse war dankbar für ein charmantes Gespräch und meine schönen Augen, also ließ sie mich einfach in den Saal, in dem schon seit einer Stunde ein Film lief. Ich hatte nicht drauf geachtet, welcher es war. Aber Vin Diesel fuhr in einem schicken Sportwagen in halsbrecherischem Tempo durch die Straßen, also nahm ich an, dass es »The Fast and the Furious« war. Teil 243 vermutlich. Es kümmerte mich nicht. Das Aufheulen der Motoren, das Quietschen der Reifen und Mr. Diesels Gegrunze entspannten mich soweit, dass ich mir Gedanken zu den Vorkommnissen der letzten Stunden machen konnte.
Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass mir dieses Vorgehen neu war. Aber überall, wo ich auftauchte, war mir der Ärger auf den Fersen wie ein treuergebener Welpe. Man könnte sagen, das war eines meiner besonderen Talente. Im 17. Jahrhundert wäre ich beinahe auf dem Scheiterhaufen gelandet. Im Afrika des 19. Jahrhunderts wollte man mich in ein Erdloch stopfen. Das Muster war immer gleich. Ich verbrachte einige Monate an einem Ort und in einer Zeit, dann geriet ich in Schwierigkeiten und machte mich aus dem Staub, bevor man mich aufknüpfte. Hätten mich die Bullen im Jahr 1935 erwischt, wäre ich höchstwahrscheinlich auf dem elektrischen Stuhl gelandet. Engel waren nur im Himmel unsterblich. In jeder anderen Welt konnten sie Schmerz empfinden und draufgehen. Und landeten danach direkt in der Hölle – wo sie nicht gerade freundlich empfangen wurden, um es höflich auszudrücken. Also wäre das Sinnvollste, meine Wunden zu lecken, den Staub von meinem Anzug zu klopfen und mich woanders häuslich einzurichten. So wie immer. Was brachte es, mir den Kopf über den Mord zu zerbrechen? Oder darüber zu grübeln, warum er mir in die Schuhe geschoben werden sollte?
Vin Diesels Schlitten knallte gegen einen anderen schicken Sportwagen, und er verwendete farbenfrohe Flüche, die ich mir gleich im Kopf notierte. Kino erschien mir sinnlos ohne Popcorn. Allerdings wollte ich mein Glück und mein charmantes Auftreten nicht überstrapazieren, indem ich auch noch bei der Snacktheke schnorrte.
Mit Rick hatte ich gestern einen Hackbraten im Donegal´s verdrückt, bevor wir in die Stadt feiern gegangen waren. Dass ich nicht aufhören konnte, an ihn zu denken, war ganz natürlich. Redete ich mir ein. Ich musste das erst verarbeiten, bevor ich so weitermachen konnte.
Wie immer.
Meine Zeit mit ihm war etwas Besonderes gewesen. Nicht nur der Sex, auch die Gespräche, der Spaß, den wir miteinander hatten. Und irgend so ein Dreckschwein hatte ihn einfach im Bett abgeknallt. Ich schlug mit der Faust auf die gepolsterte Lehne und brummte wütend. Das Pärchen ein paar Reihen vor mir unterbrach sein Rumknutschen und sah mich irritiert an. Ich lächelte entschuldigend und machte eine beschwichtigende Geste. Die Jungs hatten nur ein ruhiges Plätzchen für ihr Date gesucht, mit Vin Diesel als Anheizer. Es war nicht okay, dass ich es ihnen mit meinem 80 Jahre alten Problem ruinierte.

Menschen starben. Und oft auf unschöne Weise. Seitdem ich den Himmel verlassen hatte, war mir viel Scheiße über den Weg gelaufen. Krankheit, Tod, Mord, Folter und Schlimmeres. Ich wusste, dass das Leben endlich war und die Seelen sich dann von der Welt verabschiedeten. Und wenn das geschehen war, durfte ein Engel es nicht mehr durch Zeitreisen rückgängig machen. Die Seelen gehörten dann dem Himmel oder der Hölle. Die Erde würde explodieren, würde man daran rütteln. Das war der Lauf der Dinge. Also konnte ich genauso gut den Film genießen und mit der Vergangenheit abschließen.
Viele Stunden später lag ich zwischen den beiden Jungs im Bett und sah der Sonne beim Aufgehen zu. Niemand konnte behaupten, ich hätte es nicht versucht. Wir hatten zu dritt einen tollen Tag verbracht. Und eine spektakuläre Nacht. Aber immer wieder waren meine Gedanken ins Chicago des Jahres 1935 abgedriftet. Mittlerweile konnte ich es nicht mehr leugnen. Es fühlte sich anders an als sonst. Die gleiche Geschichte wie immer, nur war sie von der Fahrbahn abgekommen und rumpelte ein wenig am Grünstreifen entlang. Es lag an Rick und daran, dass ich ihn wirklich geliebt hatte. In meiner Zeit auf Erden hatte ich noch nie so tiefe Gefühle für einen Menschen entwickelt. Noch nie zuvor hatte sich Verlust so angefühlt, als ob mir jemand permanent auf mein Herz boxte. Aber es lag auch an der Feigheit und Heimtücke des Mordes. Es lag daran, dass die Bullen auf mich gehetzt worden waren. Dass mich jemand aus Ricks Bett direkt auf den elektrischen Stuhl verfrachten wollte.
Ich zog vorsichtig Martys Hand von meinem Brustkorb und schob Emmets Bein von meinem hinunter. Er brummte ein verschlafenes »Quin?«, wachte aber nicht weiter auf, als ich aus dem Bett kroch. Das eiskalte Wasser, das ich mir ins Gesicht klatschte, pumpte leider keinen Verstand in meinen sturen Schädel. Es wäre dumm, zurückzugehen. Mehr als idiotisch. Es wäre selbstmörderisch. Und dennoch konnte ich an nichts anderes mehr denken. Ich musste herausfinden, was geschehen war. Wer Rick auf dem Gewissen hatte, warum er sterben musste, weshalb ich das Bauernopfer sein sollte. Die anderen Engel im Himmel hatten mir oft vorgehalten, dass ich die Dinge nicht einfach akzeptieren konnte. Ich machte mich bei manchen Problemen zwar gern aus dem Staub, aber wenn ich mich in etwas verbissen hatte, konnte ich nicht loslassen, wie so ein verdammter Pitbull.
Okay. Es half nichts. Vermutlich würde ich es ewig bereuen, aber ich musste zurück ins Jahr 1935. Und zwar dorthin, wo die Spur noch heiß war. Also nicht länger als ein paar Stunden nach dem Mord. Ein tiefer Atemzug, konkreter Fokus auf Zeit und Ort und …
Warte. Eventuell wäre es klug, nicht nackt zu reisen. Ich schnappte mir meine Sachen und warf meinen schlafenden Liebhabern einen Luftkuss zu.

[Engel unter Mordverdacht
Datum der VÖ: 09. Mai 2023]

© Text & Cover: C.N. Stance
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
Unbezahlte Werbung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Um den Kommentar abzuschicken, ist die Angabe eines Nutzernamens und der E-Mailadresse erforderlich. Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Eine Speicherung der IP-Adresse erfolgt nicht.

Nutzer*innen, welche die Kommentarfunktion in Anspruch nehmen, erklären sich mit dem Absenden ihres Kommentars ausdrücklich damit einverstanden, dass ihr Kommentar mit dem gewählten Nutzernamen, dem entsprechenden Datum und der Uhrzeit unter dem jeweiligen Beitrag unseres Internetauftritts öffentlich lesbar sein wird.

Um einen Kommentar zu löschen oder zu korrigieren, wird gebeten, Kontakt mit der Website-Administration via info@wir-schreiben-queer.de aufzunehmen.
Aus Sicherheitsgründen wird der Kommentar erst sichtbar sein, wenn er von uns gesichtet, überprüft und manuell von uns freigeschaltet worden ist.