Leseprobe Alerons Schicksal | E.E. Healing
Exklusive Leseprobe
›Alerons Schicksal‹
E.E. Healing
Der Dieb und ehemalige Straßenjunge Aleron darf nicht lange die Vorzüge des Elbenschlosses genießen, in welches ihn Prinz Lunan eingeladen hat, um mit ihm als sein Gefährte zu leben.
Missgunst und Intrigen sorgen dafür, dass er sich bald auf einen beschwerlichen Weg machen muss, der ihn weit von seinen Liebsten entfernt.
In der Fremde warten zwar unbekannte Gefahren und neue Freunde auf ihn, doch was ist wirklich sein Schicksal und kann er es erfüllen?
Stundenlang hatte er an seinem zugigen Zufluchtsort versucht, etwas Ruhe zu finden. Allerdings kreisten Alerons Gedanken immer wieder um das, was am vergangenen Tag geschehen war. Dieser Kuss – wenn man ihn überhaupt als solchen bezeichnen konnte – hatte ihn doch stark verwirrt. Da war die Tatsache, dass er das erste Mal in seinem Leben geküsst worden war. Doch sie wurde davon überschattet, dass er diese Erfahrung nicht mit einem Mädchen teilte.
Noch verwirrender war dabei aber, dass es Aleron gefallen hatte, von dem Elb geküsst zu werden. Zumindest redete er sich das ein, denn so richtig einschätzen konnte er seine Gefühle nicht. Dafür waren sie zu widersprüchlich und der Kuss zu kurz gewesen. Nun fragte er sich, was wohl geschah, wenn er den Prinz wiedersah und ob er ihn überhaupt je wieder zu Gesicht bekam und was das Ganze für Lunan bedeutet hatte. War es nur ein Scherz für ihn oder aus Übermut geschehen?
Versonnen und in Gedanken drehte Aleron immer wieder das einzige Schmuckstück, das er besaß, hin und her. Es war ein kleiner, geschnitzter Anhänger, den ihm seine Mutter schenkte, kurz bevor sie starb. Viele Jahre trug er ihn als Kind an einer Kette um den Hals, ganz nah an seinem Herzen. Dann, als die Kette zu eng wurde, funktionierte er sie um in das Armband, an dem er nun die ganze Zeit nestelte. Meist beruhigte ihn das, doch in diesem Moment wühlte es ihn immer weiter auf, denn er wünschte sich, dass er in der Lage war, mit seiner Mutter zu reden, sie zu fragen, was das alles wohl bedeutete. All das allein herausfinden zu müssen, erschien ihm wie eine unlösbare Aufgabe.
Als er aber schließlich erkannte, dass ihm dieses ganze Grübeln nicht einen einzigen Bissen in den Magen brachte, rutschte er aus seinem Versteck heraus, zog seine löchrige Kleidung fester um den Leib, um sich gegen die Kälte zu schützen, und machte sich dann auf den Weg zu Vacara, um sich von ihr etwas Brotsuppe als Frühstück zu erbitten und womöglich auch ein bisschen die Wärme ihrer Küche genießen zu können.
Gegen Mittag wurde er dann von Ralo vertrieben und drückte sich seither in den Gassen herum. So-lange er sich bewegte, blieb Aleron wenigstens warm und sein Magen still. Dennoch lungerte er irgendwann lustlos am Hafen herum und wünschte sich wie schon so oft, dass er in der Lage war, zu schwimmen, dass er keine Angst vor dem Wasser hätte, dass er einfach auf einem der Schiffe anheuern und seinem Elend davonsegeln würde.
Plötzlich spürte er, wie ihm ein schwerer Mantel um die Schultern gelegt wurde. Sofort war ihm wärmer, denn der Wind drang nicht mehr durch seine Kleidung. Kurz darauf nahm er auch endlich den Schatten wahr, der bei ihm stand und sich dann neben ihn auf die schäbige Bank setzte.
Es war der Prinz. Der Mantel gehörte ihm.
»Er ist ein Geschenk für dich«, vernahm Aleron Lunans angenehme Stimme, wie sie leise zu ihm herüber geweht wurde.
»Danke«, murmelte er und zog ihn fester um seine schmalen Schultern. Die Beweggründe des Elben kümmerten ihn nicht. Dazu war das Stück für ihn zu wertvoll. Wenn er ihn verkaufen konnte, dann füllte er ihm für mehrere Wochen den Magen. Aleron musste mit den Talern nur gut haushalten und sie wirklich gut verstecken, dann war er eine Zeit lang seine Sorgen los.
»Wie ist dein Name?«, fragte Lunan und fesselte so seine Aufmerksamkeit erneut.
»Aleron.«
»Ein schöner Name. Ein starker Name«, erklärte der Prinz feierlich. »Er bedeutet ›von Rittern getragen‹ und deutet somit auf eine große und edle Abstammung hin.«
»Weiß nicht. Hab keine Eltern mehr, die ich danach fragen könnte.« Alerons knappe Antworten zeigten, wie unwohl er sich bei diesem Thema fühlte.
Dennoch ließ Lunan nicht locker. »Das tut mir sehr leid für dich.«
»Muss es nicht. Was willst du von mir?« Aleron hob seinen Kopf und streckte sein Kinn nach vorn, während er Lunan auffordernd musterte. »Mich etwa wieder küssen?«
»Ja«, gab der Prinz unumwunden zu.
Alerons Augen weiteten sich vor Schreck über seine direkte Antwort. »Was? Warum?«
»Es ist wie ein Drang, dem ich nicht widerstehen kann. Aleron, ich weiß sehr genau, was du gestern tun wolltest. Ich bin nicht so naiv, wie du es sehr wahrscheinlich vermutest. Du hattest vor, mich zu bestehlen und wenn ich mir deinen Zustand so ansehe, dann kann ich dir das auch kaum verübeln. Nutze den Mantel wofür du willst, gegen die Kälte oder um ihn zu verkaufen. Ich schenke ihn dir aus freien Stücken. Doch ich möchte dir ein Angebot machen: schenke mir noch einen weiteren Kuss, mehr verlange ich nicht. Wenn es dir zuwider ist, dann gehe ich und du siehst mich nie wieder. Aber wenn es dir gefällt, dann komm mit mir und lebe im Palast an meiner Seite.«
Dieses überaus seltsame Angebot ließ Aleron stocken und die freche Antwort, die ihm auf der Zunge gelegen hatte, blieb ihm in Hals stecken. Als Lunan schon befürchten musste, dass er einfach aufstand und ging, schnaubte Aleron verächtlich: »Was ist das für ein krankes Spiel? Hast du so viel Langeweile in deinem schicken Heim, dass du auf der Suche nach einem Haustier bist? Dazu tauge ich nicht. Kauf dir einen Hund!«
Er wollte nun doch verschwinden, aber Lunan hielt ihn am Arm fest, als er sich erhob.
»Nein, bitte, so ist das nicht. Ich … Da ist etwas … zwischen dir und mir. Ich kann es fühlen. Bitte«, flehte er nun schon beinahe. Also nahm Aleron erneut Platz und lauschte seiner weiteren Erklärung: »Ich weiß nicht, ob du es auch spürst. Aber als du mich gestern berührt hast, da ist etwas geschehen. Ich weiß nicht, was es ist. Dennoch muss ich her-ausfinden, ob mehr daran ist.«
»Und dann?«, hakte Aleron nach.
»Dein Leben im Elend hätte ein Ende. Du würdest an meiner Seite sein, gleichgestellt, nicht als Haustier, das mich beschäftigen soll. Auf solch eine krude Idee wäre ich niemals gekommen.«
Nun musste Aleron laut lachen. »Soll das etwa heißen, ich wäre ein Prinz, genau wie du? Vom Dieb zum Prinz in nur einer Nacht? Ich bin zwar arm, aber nicht blöd!«, schloss er und seine Miene wurde grimmig. »Such dir ein anderes Opfer.«
Lunan war der Verzweiflung nah, Aleron konnte es in seinem Gesicht erkennen. Für einen Augenblick war er versucht, dem Elb zu glauben.
»Bitte, sei nicht so. Ich habe die ganze Nacht lang mit meinem Vater diskutiert, ihm erklärt, dass ich den gefunden habe, mit dem ich mein Leben teilen will. Glaubst du, er hat das einfach hingenommen? Nein. Bis vor einer Stunde habe ich gebraucht, um ihn davon zu überzeugen, dass ich in den einhundertfünfzig Jahren, die ich zur Ausbildung fort war, nicht verrückt geworden bin.« Lunan knetete erst seine Hände durch während er das alles aussprach, dann ergriff er Alerons und versuchte so, eine Verbindung zu ihm aufzubauen. »Alles was ich will, ist ein Kuss. Bitte gewähre ihn mir.«
Für einige bange Augenblicke schwieg Aleron, bevor er seine Schultern straffte und Lunan betrachtete. »Na schön. Wenn es mir nicht gefällt, dann kann ich jederzeit gehen?« Lunan nickte. »Nur diesen einen Kuss, nicht mehr?«
»Nicht mehr«, versicherte ihm der Prinz.
[Alerons Schicksal | Datum der VÖ: 01. Februar 2020]
© Text und Cover: E.E. Healing;
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